Psychokardiologie

#1
Hallo

ich bin neu bei Euch im Forum.
Mich beschäftigt seit 3 Jahren (Defi seit Nov. 2006) die Entstehung meiner Krankheit. Narben am Herzen habe ich schon seit mindestens 10 Jahren und, wie per Zufall entdeckt wurde, ein Aneurysma am Vorhof seit Geburt, aber erst vor 3 Jahren gabs den Ausbruch der Rhythmusstörungen. An Medikamenten nehme ich z.Z. Dronedaron (seit 3 Wochen, vorher Amiodaron), Mexitil, Betablocker, Kalium, ACE-Hemmer, Magnesiocard. Bei Bedarf ein Diuretikum.
Ich habe mich immer gefragt, was passieren muss, dass der Defi auslöst. Und warum kamen die Rhythmusstörungen erst nach so langer Zeit? In der ersten Zeit nach der Implantation bin ich fast durchgedreht. Jede Palpitation, Extrasystole und jedes Zwicken brachte mich in Panik und ich war öfter Gast im Krankenhaus. Was ich gestehen muss, ist, dass ich mich im Krankenhaus immer sehr sehr wohl gefühlt habe. So sicher und beschützt. Die Zeit auf der Intensivstation war die beste Zeit. Mittlerweile habe ich ja nun meine Erfahrungen gemacht und Mitte März hatte ich eine erhellende, aber schmerzhafte, Erkenntnis. Stress ohne Ende bei der Arbeit. Ich musste unterwegs telefonieren, der Handyakku war leer. Also bin ich in eine Telefonzelle. Bei uns sind in den Telefonzellen Defibrillatoren installiert. Und als ich den Defi sah, löste meiner aus. 20 mal bis ich im Krankenhaus war. Ich denke, der Auslöser war der Stress und der Anblick des Defis ein Trigger. Bereits vor 3 Jahren hatte ich Stress auf der Arbeit ohne Ende und dies war der Auslöser für die Rhythmusstörungen. In der anschliessenden REHA wollte man mich immer nur auf die somatische Schiene tun und ich bestand darauf, psychosomatisch betreut zu werden. Ich spürte förmlich, wie bei Stress das Adrenalin in mir stieg und das vegetative Nervensystem in Aufruhr geriet. Bei der Attacke in der Telefonzelle wusste ich, dass der Doc mir eigentlich nur etwas stark Beruhigendes geben müsste. Und als ich das endlich bekam, gings auch besser. Ich muss aber dazu sagen, dass in beiden Stresssituationen, die schon jeweils eine längere Vorlaufzeit hatten, die Elektrolyte durch meine ungesunde Lebensweise komplett aus der Balance geraten waren. Summa sumarum: der Stress war jeweils der Auslöser, zunächst für die Verschiebung des Stoffwechsels und dann im Endeffekt für die Rhythmusstörungen. Heute vertrage ich kleinste Stresssituationen nicht gut, z.B. wenn viele Leute beim Einkaufen sind oder ich zu knapp zum Bus gehe und ihn womöglich verpasse. Dann fängts Herz an zu stolpern und die Panik kriecht hoch. Ein Teufelskreis.

Und nun habe ich die noch junge Disziplin der Psychokardiologie entdeckt. Googlen zu dem Begriff ist echt interessant.
Mich würde interessieren, wie Ihr die Auslöser der Rhythmusstörungen erklärt. Vielleicht ist es ein bischen wie die Frage, was war zuerst: das Huhn oder das Ei. Ich bin jedenfalls ziemlich sicher, dass ich absolut jeden Stress vermeiden muss, dann kommen auch keine Rhythmusstörungen mehr. Vielleicht ein Irrglaube, vielleicht auch nicht. Jedenfalls muss ich nun meinen Kardiologen noch darauf aufmerksam machen, dass er sich mal mit dem Gebiet der Psychokardiologie vertraut machen muss.

Liebe Grüsse und passt auf Euch auf



Re: Psychokardiologie

#2
Hallo Sugar!

Was du schreibst finde ich sehr interessant, weil es mir seit geraumer Zeit (mittlerweile über ein Jahr) schon ähnlich geht. Nach ein paar Salven meines Defis und daran anschließender Angststörung habe ich immer noch ziemlich damit zu kämpfen, meinen Alltag in den Griff zu bekommen, von Belastbarkeit und Stressresistenz kaum eine Spur.

Es ist spannend, zu lesen, dass ich damit nicht allein bin.

Liebe Grüße,
Sternchen

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Auf Rechtschreibung und Grammatik wird geachtet.
Dennoch: Wer Fehler findet, darf sie behalten...
ich habe noch genug davon!
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Re: Psychokardiologie

#3
Liebes Sternchen,

ja ja die Angststörung. Die kenne ich gut. Hab sie aber mit intensiver Therapie in den Griff bekommen. Ein sehr einfühlsamer Therapeut, der Herz und Seele in Einklang gebracht hat.
Nachdem nun nach 3 Jahren die erste grosse Krise kam, ist die Angststörung nicht mehr so dominant. Weiss ja nun, wie die Schocks sich anfühlen.
Ist es üblich, dass nicht nur somatisch sondern auch psychisch behandelt wird? Finde, dass das noch keine Selbstverständlichkeit ist. Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie meine Ärzte reagieren werden, wenn ich versuche, Ihnen die Verbindung zwischen Herz und Seele aufzuzeigen. Aber ich glaube, dass die Psyche nicht nur nach einer Erkrankung reagiert, sondern schon vorher angegriffen ist und es deshalb dann zur Reaktion des Herzens kommt. Auf jeden Fall gehören beide zusammen (weiss nie so genau den Unterschied zwischen Seele und Psyche).
Als Behandlung gegen die Angst habe ich IMMER ein Reservebenzo bei mir und ein Schluck Wasser. Gibt mir ein gutes Gefühl. Habs aber noch nie gebraucht. Auch Antidepressiva habe ich nie genommen, obwohl der Doktor mir die empfahl. Ich bräuchte etwas gegen Stress bzw. etwas Nachhilfe in Resilienz. Wissen tu ich viel, es hapert bei der Umsetzung. Habe es mit progressiver Muskelentspannung versucht, ohne Erfolg. Nun versuche ich Meditation und eine achtsame Lebensführung. War heute bei einem Vortrag vom Dalai Lama und das was er sagte, bestärkte mich. Zuerst mich um mich selbst kümmern, dann für andere da sein. Bisher war ich nur für andere da und habe mich vernachlässigt. Konnte ja nicht gut gehen.

Liebe Grüsse sugar



Re: Psychokardiologie

#4
    Zitat: sugar
    Hallo

    In der ersten Zeit nach der Implantation bin ich fast durchgedreht. Jede Palpitation, Extrasystole und jedes Zwicken brachte mich in Panik und ich war öfter Gast im Krankenhaus. ...
    Dann fängts Herz an zu stolpern und die Panik kriecht hoch. Ein Teufelskreis.


Guten Abend, Sugar...
Diese Situationen kennen sicher einige hier unter uns.... - mich inbegriffen!In den ersten 2-3 Jahren nach der Implantation war ich
auch öfter Gast im Krankenhaus...und nach dem Üblichen (EKG) wurde
natürlich nichts festgestellt....
Es wäre schon schön, wenn sich die Kardiologen in den Krankenhäusern auch ein wenig für die Psyche interessieren/bilden würden...so wirklich...- und man nicht lapidar ( so wie ich zuletzt von meinem früheren Krhs.-Arzt ) mit vorwurfsvollem/r Ton/Miene darauf verwiesen würde, dass "man" schließlich kein Psychologe sei und "für sowas" keine Zeit habe und nicht zuständig sei....Meine Herzstolperer wurden damit abgetan, dass auf dem EKG nichts zu erkennen sei....Fand ich super-toll - und fühlte mich danach dann wie ein Simulant und so richtig alleingelassen!
Nach so Erlebnissen mit Ärzten bleibt einem nichts, als sich vollkommen darauf zu verlassen, dass der Defi seinen Dienst gut tut, sollte es schlimmer kommen....Allerdings habe ich diesem Arzt/Krhs. den Defi-Wechsel später dann auch nicht "zukommen" lassen...STRAFE MUSS SEIN.... ;-)
Ich vermute jedoch (eigene Erfahrung nach Krhs.-Wechsel), dass die Kardiologen auch diesbezüglich so langsam dahinter kommen, dass Patienten-Vertrauen und Einfühlungsvermögen in JEDER HINSICHT nötig ist und sie diesbezüglich auch auf dem "Vormarsch" sind....Man erkennt (neuerdings?in wirtschaftl. schlechten Zeiten) anscheinend, dass die psychosomatische Seite nicht außer Acht gelassen werden sollte...Ein individuelles Eingehen auf Patienten ist nötig!

Hilft Dir diese Schilderung evtl. weiter?:
http://www.carookee.com/forum/defi-forum/12/Tako_Tsubo_Syndrom.25639344.0.01105.html

LG, Bibbi


____________________
Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.
(Immanuel Kant)

Re: Psychokardiologie

#5
Liebe Bibbi

schau mal hier:
http://www.dailymotion.com/video/xcro7g_psychokardiologie-wie-stress-das-he_tech

Die scheinen sich sehr damit zu beschäftigen.

Als ich im März im KH war, habe ich auf einem psychosomatischen Konsil bestanden, weil ich merkte, dass ich grosse Mühe mit der angekündigten Entlassung hatte. Der totale Stress. Es war zu früh für meine Seele. Mein Herz war zwar wieder im Takt. Die Psychiaterin, die dann kam, hatte früher auf der Kardiologie gearbeitet und konnte mich verstehen. Die Ärzte und das Pflegepersonal hatten mich zuvor mit komischen Infos verwirrt (z.B. sagte die Schwester am Montag, dass der Kaliumwert 4.9 sei und ihre Kollegin am Dienstag sagte, dass der Kaliumwert am Montag nicht zu beurteilen gewesen sei, da hämolytisch. Man richtete mir falsche Medis oder plötzlich waren neue dabei und ich hatte keine Info). Ich muss dazu sagen, dass ich schon etwas draus komme, da ich selber Krankenschwester war. Und bekanntlich sind die dann die schwierigtsen Patienten. Die Psychiaterin jedenfalls sprach dann wohl mit dem Stationsarzt, denn danach waren alle ganz anders zu mir. Informierten mich, fragten nach, kamen nun auch Mittags zum Puls zählen (ich reagierte auf das Dronedarone mit niedrigem Puls und am Schluss musste die Dosis halbiert werden). Und der Stationsarzt gab dann zu, dass er mit seinem Wissen am Ende sei und meine Behandlung den Rhythmologen überlassen würde und mich ohne deren OK auch nicht entlassen würde. Das Ende meines Aufenthaltes war dann leider wieder unrühmlich, denn ich wurde "rausgeschmissen". Also man fragte mich, ob ich wohl schon zusammen packen könnte (obwohl die Rhytmologen noch nicht der Entlassung zugestimmt hatten), da ein neuer Patient komme. Ich wartete dann über eine Stunde auf dem Flur auf das Austrittsgespräch, das Rezept usw.. So etwas mit jemandem zu machen, die bekanntermassen unsicher ist und zu Angst neigt, zeugt von wenig Fingerspitzengefühl. Mir hat es gezeigt, dass ich nicht nur mit meiner Krankheit klar kommen muss, sondern auch noch für eine umfassende Behandlung selber besorgt sein muss. Ich muss für mich kämpfen. So lerne ich es nun vielleicht, für mich selber zu sorgen. Schön, wenn man im privaten Bereich liebevolle Menschen hat, die einen in schweren Stunden zur Seite stehen.

Ich hoffe wirklich sehr, dass den Ärzten bald einmal klar wird, dass der Mensch nicht nur aus fassbaren Organen besteht, sondern dass da noch etwas ist, dass alles zusammenhält und mich ausmacht.

Gute Nacht und eine im richtigen Takt verlaufende Woche allen. sugar



Re: Psychokardiologie

#6
Auch ich habe bei Streß verstärkt Rhythmusstörungen. Ich glaube aber, daß es eine Illusion ist, daß wir uns in Watte packen könnten und jeglichem Streß aus dem Weg gehen könnten, oder es zumindest versuchen sollten. Lernen müssen wir vielmehr mit dem Streß umzugehen. Natürlich müssen wir ihn uns nicht bewußt aufhalsen. Aber wenn wir uns zu sehr in Watte packen, werden wir doch nur empfindlicher, glaube ich. Auch für mich ist es noch ein weiter Weg dahin...



Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt, 4xOP am offenen Herzen, Herzinsuffizienz 2. Grades, Z.n. überlebtem Plötzlichem Herztod 2007, anschließend Defibrillatorimplantation


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Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt, 4xOP am offenen Herzen, Herzinsuffizienz 2. Grades, Z.n. überlebtem Plötzlichem Herztod 2007, anschließend Defibrillatorimplantation, 2011 und 2012 Ballondilatation mit Stentimplantation in den Pulmonalarterien, 2012 Kammerflimmern

Re: Psychokardiologie

#7
    Zitat: EviGirl
    Auch ich habe bei Streß verstärkt Rhythmusstörungen. Ich glaube aber, daß es eine Illusion ist, daß wir uns in Watte packen könnten und jeglichem Streß aus dem Weg gehen könnten, oder es zumindest versuchen sollten. Lernen müssen wir vielmehr mit dem Streß umzugehen. Natürlich müssen wir ihn uns nicht bewußt aufhalsen. Aber wenn wir uns zu sehr in Watte packen, werden wir doch nur empfindlicher, glaube ich. Auch für mich ist es noch ein weiter Weg dahin...
nein, die Anforderungen die uns stressen können, die wird man nicht vermeiden können.
Ich denke aber, dass man es lernen kann es nicht zu einer Stresssituation kommen zu lassen.
Dazu gehört wohl auch, dass wir lernen mussen auch mal "Nein" zu sagen.

Ich glaube auch dass in unserer Situation der Begriff "Zuversicht" ein Schlüsselwort sein könnte.



Re: Psychokardiologie

#8
Ja, und mittlerweile haben sich nun also meine Rhythmusstörungen so weit verschlechtert, daß ich bei stundenlangem Streß in Form von Aufregung (mich ärgern) Vorhofflattern bis zum Defifehlschock bekomme. Es ist, wie anderswo im Forum beschrieben, bisher zweimal passiert und ich muß nun lernen, immer ruhig und gelassen zu bleiben. Eigentlich bin ich eher temperamentvoll, und es fällt mir nicht immer leicht. Aber es soll nicht wieder so weit kommen. Was allerdings einmal und ein zweitesmal passiert, wird wohl auch wieder vorkommen...



Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt, 4xOP am offenen Herzen, Herzinsuffizienz 2. Grades, Z.n. überlebtem Plötzlichem Herztod 2007, anschließend Defibrillatorimplantation


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Pulmonalatresie mit Ventrikelseptumdefekt, 4xOP am offenen Herzen, Herzinsuffizienz 2. Grades, Z.n. überlebtem Plötzlichem Herztod 2007, anschließend Defibrillatorimplantation, 2011 und 2012 Ballondilatation mit Stentimplantation in den Pulmonalarterien, 2012 Kammerflimmern