Junge Defiträgerin Antrag

#1
Auch ich habe seit wenigen Wochen einen Defi. Nun zögere ich aber einen Antrag zu stellen. Bei mir wurde Brugada und verlängerte QT Zeit festgestellt. Ereignisse hatte ich noch keine. Ich bin gerade dabei mein Studium zu beenden und habe Angst, dass mich mit einem Ausweis Arbeitgeber nicht einstellen würden, da sie denken könnten, ich könnte Stress nicht aushalten. So weit wie ich das hier verstehe würde ich 50% bekommen und daher außer 5 Tage mehr Urlaub nichts? Dann lasse ich es lieber. Ich weiß dass ich es nach nicht geklärter Rechtslage wohl nicht mitteilen müsste, aber trotzdem. Lieber nicht, oder? Danke!

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#2
Was ist der Sinn eines Behindertenausweises?

Mit dem Schwerbehindertenausweis ist ein Gesetz zur Sicherung der Eingliederung Schwerbehinderter in Arbeit, Beruf und Gesellschaft verbunden.
Welche Vorteile bekommt man durch einen Behindertenausweis?
Als wichtigsten Vorteil ist an erster Stelle der Kündigungsschutz zu nennen. Weitere Vorteile bestehen in dem sogenannten Nachteilsausgleich. Der Nachteilsausgleich kann sein:

• Finanzielle Entlastung
• Steuerermäßigungen
• Versicherungsermäßigungen
• Gebührenermäßigungen
• Ermäßigung im Reiseverkehr

Wem steht ein Behindertenausweis zu?
Sofern durch die Krankheit eine nicht nur vorübergehende Funktionsbeeinträchtigung vorliegt, und der Wohnsitz, der gewöhnliche Aufenthalt oder die Beschäftigung im Geltungsbereich der BRD liegt, steht dem Erkrankten ein Behindertenausweis zu.

Wie stelle ich einen Antrag?
Beim zuständigen Versorgungsamt kann man sich die erforderlichen Anträge besorgen, und damit formell mit den ausgefüllten Vordrucken und Unterlagen den Antrag stellen.
Es gibt aber auch die Möglichkeit, einen formlosen Antrag beim zuständigen Versorgungsamt zu stellen. In diesem Fall erhält man vom zuständigen Versorgungsamt die erforderlichen Unterlagen.
Wichtig

Droht eine Kündigung, sollte der Antrag sofort gestellt werden. Es besteht sofortiger Kündigungsschutz, sofern der Antrag gestellt ist, bevor eine Kündigung ausgesprochen ist.

Was passiert nach der Antragstellung?
Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes begutachtet anhand der ihm überlassenen Unterlagen (oder fordert zusätzliche Unterlagen an) den Antragsteller. Daraufhin wird der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes die Behinderung »bezeichnen« und den Grad der Behinderung (GdB) feststellen. Diese, durch den ärztlichen Dienst festgestellte »Bezeichnung« bildet die Grundlage für einen Feststellungsbescheid. Außerdem wird festgelegt, welche Merkmale für die Inanspruchnahme von Nachteilsausgleichen vorliegt. Der ärztliche Dienst des Versorgungsamtes legt fest, ob, und wann eine Nachbeurteilung stattfindet.

Welche Merkmale gibt es?

G
der Ausweisinhaber ist in seiner Bewegungsfähigkeit im Straßenverkehr beeinträchtigt

aG
der Ausweisinhaber ist »außergewöhnlich gehbehindert«

H
der Ausweisinhaber ist »hilflos«

BI
der Ausweisinhaber ist »blind«


Welcher Nachteilsausgleich steht einem Ausweisinhaber zu?
Schwerbehindert ist vor dem Gesetz nur, wer mindestens 50% GdB erreicht. Es gibt einen Nachteilsausgleich unabhängig von Merkmal und GdB, und der bezieht sich in erster Linie auf die Arbeit. Dabei handelt es sich um folgenden Nachteilsausgleich:

• Kündigungsschutz
• 5 Tage mehr Urlaub
• Mit dem sechzigsten Lebensjahr Rentenanspruch

Des weiteren gibt es diverse Nachteilsausgleiche, die vom Grad der Behinderung (GdB) abhängig sind. Zum Beispiel Steuervorteile, wobei der Steuerfreibetrag wiederum vom GdB abhängig ist.
Und zum Schluß gibt es diverse Nachteilsausgleiche, die vom Merkmal abhängig sind. Zum Beispiel:
Merkmal Ausgleich

G Ermäßigung bei der Lohn- und Einkommenssteuer
Freifahrten oder wahlweise Kfz-Steuerermäßigung

aG Ermäßigung bei der Lohn- und Einkommenssteuer
Freifahrten oder wahlweise Kfz-Steuerermäßigung Parkerleichterung

H Ermäßigung bei der Lohn-, Einkommens- und Hundesteuer Freifahrten oder wahlweise Kfz-Steuererbefreiung

BI Ermäßigung bei der Lohn- und Einkommenssteuer
Freifahrten oder wahlweise Kfz-Steuerermäßigung Ermäßigung beim Postversand Ermäßigung im Funk-und Fernsprechwesen Parkerleichterung

Widerspruch einlegen
Ist man mit der Entscheidung des Versorgungsamtes nicht einverstanden, so kann man Widerspruch eingelegen. Der Widerspruch muß schriftlich beim Versorgungsamt eingereicht werden, und sollte direkt eine Begründung enthalten.
Wird mit dem Widerspruch nicht das gewünschte Ergebnis erzielt, so kann man beim zuständigen Sozialgericht eine Klage erheben. Diese Klageerhebung ist für den Kläger im Regelfall kostenlos.
Fällt der GdB kleiner als 50% aus, hat man das Recht, sich beim Arbeitsamt des Wohnortes (Schwerbehindertenvertreter) gleichstellen lassen.

Was muß bei einem Widerspruch beachtet werden?
Ganz wichtig ist, daß die Frist von 4 Wochen (4 Wochen vom Datum der Erstellung) eingehalten wird.

Welche Vorteile hat der Behindertenausweis?
Der eigentlich wichtigste Vorteil ist der Kündigungsschutz. Damit wird sichergestellt, daß ein Patient, der gesundheitlich beeinträchtigt ist, nicht noch weitere Nachteile durch den Verlust der Arbeitsstelle bekommt.
Der zweite nennenswerte Vorteil ist der Mehrurlaub von 5 Tagen. Die Herabsetzung des Rentenalters bei Schwerbehinderten dient genauso der Schonung der Gesundheit von Betroffenen. Dann sind da noch die finanziellen Vorteile in Form von Steuerermäßigungen usw.

Welche Nachteile hat der Behindertenausweis?
Ein ganz klarer Nachteil des Behindertenausweises ist eine schlechtere Vermittelbarkeit bei der Stellensuche. Firmen, die einen Behinderten einstellen, sind sehr selten.

Daher sollten im wesentlichen junge Menschen die Entscheidung über einen Antrag auf Schwerbehinderung erst nach einer umfassenden Risikoabwägung fällen.
Eine Behinderung ist eine per Gesetz festgestellte Eigenschaft, und kann nicht wieder aufgehoben werden.


Teilweise Auszug aus: http://www.familienhilfe-polyposis.de/polyposispost/pp/2001-11/s16.html

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#3
Hallo,
die ausführlichen Informationen und Antworten hier im Forum sind übrigens beeindruckend und machen mir viel Mut! Ich habe mich soeben angemeldet und werde mich demnächst auch vorstellen.

Als ebenfalls junger Defi-Träger interessiert mich zur Zeit auch gerade das Thema Anzeigen einer Herzkrankheit bzw. Schwerbehinderung bei der Arbeitssuche, und ob bzw. wann man sich schwerbehindert melden sollte oder nicht. Bin 28 Jahre und möchte auch weiterhin in der IT-Branche arbeiten. Meinen alten Außendienstjob habe ich gekündigt und nehme jetzt eine kleine Auszeit um wieder klar zu kommen.

Nach Informationen auf www.schwerbehinderung-aktuell.de gilt bei Bewerbungsverfahren nur eine Offenbarungspflicht bei Schwerbehinderung, wenn der Bewerber wegen seiner Schwerbehinderung seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Auskunftsplicht, also direkte Frage des potentiellen Arbeitgebers, besteht "wohl aber ja", da sich ja für den Arbeitgeber zahlreiche Pflichten daraus ergeben und sowohl Staat als auch Arbeitgeber eigentlich ein Interesse daran haben, Schwerbehinderte einzustellen. Im Einzelfall kommt es da wohl auf Gerichtsurteile an, aber auf Grund des genannten Interesses des Staates an der Einstellung Behinderter denke ich, dass es eher Urteile pro Auskunftspflicht gibt.

So, jetzt aber zu meiner Frage.

Gehe ich mal von folgendem Szenario aus
-Ich beantrage meine de facto vorhandene Schwerbehinderung mit dem Defi _nicht_ beim Versorgungsamt
-Ich offenbare die Krankheit _nicht_, da ich laut Stellenbeschreibung mir sicher bin, dass sie meine Arbeitsleistung nicht beeinträchtigt
-Ich werde eingestellt, ohne das herauskommt was ich habe

Wäre es später, z.B. nach Ende der Probezeit, wenn mir der Job gut gefällt, legitim, die Schwerbehinderung beim Versorgungsamt zu beantragen, um dann die Vorteile zu genießen? Oder würde sich dann der Arbeitgeber tierisch verar* vorkommen und versuchen, mich irgendwie loszuwerden?

Oder wäre der bessere Weg für mich, zunächst die Schwerbehinderung zu beantragen, und dann offensiv damit zu werben? In vielen Stellenausschreibungen steht drin: "Bewerber mit Behinderung werden bevorzugt eingestellt bei sonst gleicher Eignung."
Ist das eigentlich nur eine Floskel wegen des AGG, oder ist das tatsächlich ernst gemeint? Also ich fühle mich schon wenige Wochen nach der OP wieder recht fit und denke, dass ich in absehbarer Zeit einen IT-Innendienstjob ganz normal durchführen kann. Ich würde meine Leistungsfähigkeit also schon gerne offensiv vertreten, egal ob mit oder ohne Ausweis.

Was meint ihr dazu so? Die meisten von euch haben sicher mehr Lebenserfahrung, da wäre ich um jede Meinung dankbar. Gerade wenn Tom schreibt, dass so eine Behindertenmeldung nicht rückgängig gemacht werden kann.

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#4
Zuerst einmal Herzlich Willkommen hier!!!
Also ich persönlich - aus heutiger Sicht und aus versch. Erfahrungen, die ich gemacht habe - würde in einem solchen Falle mich zuerst bewerben und nach einer evtl. Einstellung zunächst die Probezeit abwarten...und ERST DANACH den Schwerbehindertenausweis beantragen....

Es scheint eine sehr unsichere Rechtslage (mit "schwammigen" Formulierungen zum Gesetz) zu bestehen....
Man kann es sich - je aus Sicht von wem - "zurechtdrehen"....

Du könntest Dir einen Termin bei einem Rechtsanwalt (Fachanwalt für Arbeitsrecht ) holen und Dich beraten lassen...Schriftlich am besten!!

Zur eigenen "Sicherheit" für später - um "beweisen" zu können, dass Du richtig gehandelt hast, falls es wirklich mal zu einem Prozess kommen sollte aus dem Grunde.... ;-)

So würde ich es HEUTE machen....

LG von Bibbi


____________________
Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.
(Immanuel Kant)

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#5
Hmmm,
beim Beantragen nach Probebezeit obwohl Du bereits vorher wusstest das Du Schwerbehindert bist - Könnte man Dir das als arglistige Täuschung vorwerfen. Es sei denn, dass Du glaubhaft machen kannst trotz Deiner Erkrankung von der Schwerbehinderung nichts gewusst zu haben.

Schwer zu Beantworten

Gruß
Thorsten



Re: Junge Defiträgerin Antrag

#6
Generell ein sehr, sehr schwieriges Thema.

Ich hab von den Sozialberatern, Psychologen und Ärzten im Krankenhaus und später während der Reha auch sehr unterschiedliche Meinungen gehört. Der Eine sagt so, der Andere so.
Ich für meinen Teil bin jetzt so verblieben, dass ich trotz derzeitiger Arbeitssuche einen solchen Ausweis beantragt habe. Der Grund lag für mich aber eher darin, dass ich für mich mit 50 auf dem Arbeitsmarkt einfach kaum noch Chancen sehe. Dazu kommt, dass ich auf Grund meiner gesamten Krankheitssituation nicht mehr bundesweit beschäftigt sein möchte (wie vor der Krankheit), sondern eher wohnortnah. Die Familie gibt mir, zumindest mental, doch etwas Sicherheit. Ausserdem sehe ich in meiner alten Branche (mit Riesenmaschinen und damit Riesenantrieben - und ich war nie nur "Schreibtischtäter") Defi-bedingt kaum Chancen (diese Industrie gibt's auch wohnortnah kaum noch, die meisten haben zu gemacht) und in eine neuen Branche, in der mir jegliche Erfahrung fehlt ist auch kein Reinkommen. Bei solch düsteren Aussichten, kann man den Ausweis auch beantragen. Ich hab quasi aufgegeben.
Wenn man hingegen jünger ist und in einer "guten" Branche, dann würde ich mir das wahrscheinlichauch mehrfach überlegen. Aber wie gesagt, wirklich raten kann man hier eher nicht. Ich denke auch, dass die Zeile unter vielen Anzeigen, von wegen Bevorzugung Behinderter und so, eher augenauswischende Absicherei ist und nicht wirklich ernst gemeint ist.

Gruß

Gunter



Re: Junge Defiträgerin Antrag

#7
Hallo Gunter
Warum aufgegeben?? Ich tue es auch nicht. Und du weiß wie schwer ich es habe. Da hast du schon bessere Chancen als ich. Wenn wir uns in einen gleichen Berieb bewerben wurden, was glaubst du wen die nehmen wurden? Ich kann es dir sagen: Lieber einen alten Mann als einen gehörlosen Mann.

LG Andy


____________________
Gehörlos durch Gehirnhautentzündung mit 11 Jahren. Defi-Träger seit 2.2008. wegen Ventrikuläre Tachykardien.
Periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) letzte Stufe am 2.2013! KHK! Arteriosklerose!

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#8
    Zitat: IC
    "Bewerber mit Behinderung werden bevorzugt eingestellt bei sonst gleicher Eignung."
Ist doch klar warum die bevorzugt werden! Die Firmen müssen ab X Arbeitnehmer Behinderte einstellen oder bezahlen! Zudem können die auch vom Staat finanziel unterstützt werden.

Von erst die Probezeit abwarten würde ich abraten da dann doch der üble Beigeschmack der Täuschung da ist. Es gibt ja auch Firmen die lieber Abgaben zahlen um nicht ihre Quote der Behindertenplätze in der Firma zu besetzen.

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#9
Es gibt ja auch Firmen die lieber Abgaben zahlen um nicht ihre Quote der Behindertenplätze in der Firma zu besetzen.



Das kannst du laut sagen.


LG Andy


____________________
Gehörlos durch Gehirnhautentzündung mit 11 Jahren. Defi-Träger seit 2.2008. wegen Ventrikuläre Tachykardien.
Periphere Arterielle Verschlusskrankheit (pAVK) letzte Stufe am 2.2013! KHK! Arteriosklerose!

Re: Junge Defiträgerin Antrag

#10
Tom, ich meinte

....den Schwerbehindertenausweis nach der Probezeit
erst zu BEANTRAGEN....

Ich selbst habe damals gar nicht gewusst, dass ich die Möglichkeit
habe, wegen eines implantierten Defis einen solchen zu beantragen
( das habe ich erstmals hier im Forum erfahren )
... wenn nun zufällig das Probezeitende erst auf den Zeitpunkt
fällt, zu dem man zufällig erfährt, dass man antragsberechtigt ist....

Ich persönlich würde mich ja auch beraten lassen vorher, und zwar
diese Beratung ebenfalls schriftlich festgehalten....
Man sollte dem Anwalt seine persönliche berufliche Situation
natürlich schildern und fragen, ob man gesetzeswidrig handelt/e,
....


____________________
Drei Dinge helfen, die Mühseligkeiten des Lebens zu tragen: Die Hoffnung, der Schlaf und das Lachen.
(Immanuel Kant)