Eine etwas umfangreichere Vorstellung

#1
Hallo zusammen :)

Ich bin 26 und komme aus dem Westen Deutschlands, ich hoffe natürlich, wie meine Vorgänger hier, etwas Anschluss zu finden und vlt. den ein oder anderen Ratschlag bzw. ein wenig Hilfestellung zu erhalten. Bis jetzt war das nicht nötig, aber je länger ich mit Ärzten zu tun habe, desto mehr Vertrauen verliere ich in genau diese und desto hilfloser komme ich mir vor. Deswegen auch der ausführliche Bericht, für den vielen Lesestoff bitte ich schonmal vorab um Verzeihung.

Mir wurde mein Defi mit Herzschrittmacherfunktion (Medtronic) im November 2014 wegen Herzstillstand/Kammerflimmern implantiert und ich fühle mich ziemlich wohl damit. Zu wissen, dass man nicht mehr einfach so "hops" gehen kann, ist eine große Hilfe im Alltag. Entlassen wurde ich mit Metoprolol und quasi einem "Viel Spaß damit." Naja, ich war einfach nur froh, nach 6 Wochen draußen zu sein. Die Ursachen konnte mir aber zu dem Zeitpunkt keiner nennen. Alle Werte top, nur ziemlich viele Rhythmusstörungen (Ventrikuläre Extrasystolen, Ventrikuläre Tachykardien, Couplets, Triplets, Salven, also ziemlich wild durcheinander), die dann mit Betablocker aber besser wurden. Von den Rhythmusstörungen und wusste ich vorher schon, da fragte man mich mit 24, ob ich Betablocker haben wollte. Tja, was sagt man mit 24... nein, natürlich nicht, ich fühle mich ja wohl, mir gehts prima. (Ich kann die Rhythmusstörungen nicht fühlen, also kann ich weder Verbesserungen noch Verschlechterungen spüren.) Außerdem bin ich noch bradykard, was das Problem aufwirft, dass ich keine richtig hohe Dosis Betablocker nehmen kann, weil sonst der Defi zuviel "arbeiten" muss. Mein Puls lag ohne Betablocker ab und an mal bei unter 40, die Herzschrittmacherfunktion verhindert das nun.

Im Mai hatte ich dann leider wieder Kammerflimmern, aber dank Defi saß ich schon nach 5 Minuten wieder aufrecht. Ich empfand das Ganze überhaupt nicht als schlimm. Mir wurde im Wohnzimmer schwindelig (das passiert seit der Betablocker-Einnahme allerdings ständig), ich hatte noch Zeit mich mit dem Kopf auf Sofakissen zu legen und habe dann nur dieses Zucken gespürt. Ein bisschen Muskelkater im Brustbereich, aber sonst habe ich mich nur ein wenig erschrocken.

In der darauf folgenden Woche ging ich zur Kontrolle ins Krankenhaus, die haben mich natürlich direkt dort behalten. Zum Beobachten. Diesmal bekam ich auch eine Diagnose (via Ausschlussverfahren): katecholaminerge polymorphe ventrikuläre Tachykardie. Das ist eine Ionenkanalerkrankung (wie Brugada oder LongQT-Syndrom), nur dass die Rhythmusstörungen nur unter Belastung richtig auffällig werden, bzw. bei mir eig. eher in der Postbelastungsphase (festgestellt bei der Ergometrie). Trigger sind also Katecholamine, wie Adrenalin u.Ä.. Häufig wird das wohl schon im Kindesalter diagnostiziert, weil diese durch Synkopen auffallen, die unter Stress oder Belastung eintreten. Je älter man wird, desto höher das Risiko des plötzlichen Herztodes.

Die medizinishen Leitlinien empfehlen Propranolol und Nadolol. Weil ich noch allerhand Klausuren zu schreiben hatte und eine wichtige Seminarreihe hinter mich bringen musste, durfte ich mit Bisoprolol erstmal nach Hause gehen. Im Juli sollte ich dann unter Beobachtung Nadolol bekommen. Das hat auch gut funktioniert. Das Problem ist nur: Nadolol ist in Deutschland nicht zugelassen. Auf die Frage hin, wer das denn dann stellt und bezahlt hieß es, dass man sich im Krankenhaus darum kümmern würde. Alles klar. Zwei Wochen nach Entlassung bekam ich dann die Info, ich müsse das jetzt selbst besorgen. Könnte mir mein Kardiologe verschreiben. Achso. Ich fragte bei der Kasse, durchwühlte das Internet wie es sich rechtlich so nicht zugelassenen Medikamenten verhält und stellte natürlich fest, wie vermutet, die Kasse wird das nicht bezahlen. Mal abgesehen von der Haftungsfrage würde mich das Medikament um die 700 Euro im Monat kosten.

Ich fühlte mich hilflos. Wussten die das denn alles im Krankenhaus nicht? Haben sie es mir nur nicht gesagt? Wenn ja, warum nicht? Warum hat mich darüber keiner informiert? (Im Krankenhaus erhielt ich praktisch immer die Info, dass die Ärzte keine Zeit hätte. Ich sah sie etwas 5 Minuten am Tag, da fühlt man sich eh schon als Ballast und als Jemand, der den Patienten, denen es wirklich schlecht geht, die Zeit stiehlt und nur aufhält.) Aber ich musste ja wenigstens fragen und habe also schweren Herzens meinen Kardiologen und den leitenden Oberarzt angeschrieben. Ich habe mich bemüht so höflich wie möglich zu sein und das Problem sachlich darzustellen. Trotzdem fühlte ich mich dumm. Ich musste ja argumentieren, warum die Kasse es nicht bezahlt. Ich wusste aber nicht, ob die Ärzte das auch wissen. Ich hatte Angst, jemandem auf die Füße zu treten oder etwas falsch verstanden zu haben.

Zurück kamen Dinge wie: "Die Kassen haben da Spielraum, ich kann ja mal mit dem Sachbearbeiter sprechen" oder der Hinweis, irgendein Institut oder der Pharmahersteller könne das ja stellen". Ich musste also einsehen, dass sie das Problem nicht wirklich verstanden haben. Ich sprach nochmal mit der Kasse und dem medizinischen Dienst dort. Gleiche Antwort: Man könne doch Propranolol nehmen, warum denn auch ein nicht zugelassenes Medikament. Woher sollte ich das denn nun wieder wissen, warum a und nicht b? Ich hatte ja nichtmal einen Beipackzettel. Also bat ich darum, mir einen Antrag zuzuschicken (quasi für Härtefälle). In der Zwischenzeit hatte ich mich schon durch diverse Rechtsurteile gequält und bin nach wie vor ziemlich sicher, dass es nicht von der Kasse bezahlt wird.

Ich begann das Ganze irgendwie als boshaft zu empfinden. Nicht von der Kasse, denn wenn es Alternativen gibt, warum hat man mir diese nicht wenigstens vorgeschlagen? Oder mal kurz erwähnt, wie man damit umgeht oder zumindest was man machen muss?
Die Kommunikation mit einem Patienten, der Kammerflimmern wegen Stress und Aufregung bekommt, so zu führen, das ist eine Sache, die ich nicht ganz verstehe. Erst erklärt man mir, wie gefährlich das alles ist und dass ein stationärer Aufenthalt unumgänglich ist, und dann sitzt man zu Hause und fühlt sich im Stich gelassen, weil man keine Ahnung hat, wie man nun an seine Medikamente kommt.

Ich habe also diesen Antrag an beide Ärzte geschickt und angekündigt, dass wenn ich nichts Gegenteiliges höre, ich den Betablocker ausschleichen und mal die humangenetische Untersuchung abwarten würde. Vielleicht könne man mir dort sagen, was ich nun nehmen soll. Das hat dann offensichtlich doch eine Reaktion ausgelöst und ich bekam einen Termin mit einer netten Assistenzärztin und einem der Oberärzte. Ich saß also dort und wurde darüber aufgeklärt, dass alleine ohne Überwachung ausschleichen mal gar nicht geht, das müsse überwacht werden und sie hätten außerdem ihre Erfahrung mit solchen Anträgen, das würde schon klappen, das hätten sie schon oft gemacht. Ich könnte aber auch einen anderen Betablocker nehmen, wenn ich wollte. Häh??

Ich bin dann gegangen, mit dem Einverständnis, dass sie den Antrag ruhig mal stellen sollen. Solange bestellt nun das Krankenhaus dieses anstrengende Medikament. Mal schauen, wie das so funktioniert.

Ich fühle mich nur komplett auf den Arm genommen, dumm, naiv, nervig, überflüssig. Ich habe mir das alles nicht ausgesucht und komme mir vor wie Jemand, der einfach nur eine Belastung für alle Ärzte darstellt, die ja eigentlich Wichtigeres zu tun haben. Haben sie ja auch. Aber mich hat auch vorher Niemand gefragt, ob ich dieses Medikament überhaupt haben will. Und jetzt schon wieder umstellen? Der vierte Betablocker innerhalb eines Jahres? Ich bin kein Arzt oder Pharmakologe, aber toll ist das bestimmt nicht für den Körper, alleine schon weil man jedesmal andere Nebenwirkungen hat. Warum sind Ärzte immer so seltsam?

Am Liebsten würde ich einfach zu gar keinem Arzt mehr gehen, weder im Krankenhaus, noch ambulant. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Irgendwie schämt man sich total, dass man so ein "Problemfall" ist. Wer weiß, wer solche Mails, in denen man sein Problem schildert, alles liest und wer weiß, wie da darüber gelacht wird. Ich hatte immer das Gefühl, selbst von den Assistenzärzten total belächelt zu werden. Obwohl ich mir echt immer Mühe gegeben habe, ruhig zu sein, sie nicht zu unterbrechen, keine dummen Fragen zu stellen und nicht zu jammern (immerhin gings mir physisch immer ganz gut).

Deshalb würde mich wirklich interessieren, wie Eure Erfahrungen mit Ärzten, Krankenhäusern und Medikamenten sind. Ist das normal? War ich einfach zu naiv und hätte genauer nachfragen müssen? Sollte ich mich lieber generell nicht darauf verlassen, dass sich wirklich Jemand für solche Krankheiten interessiert und eher versuchen, meine Probleme alleine zu lösen, sprich, mich besser informieren? Muss das Ausschleichen tatsächlich immer überwacht werden oder habt Ihr das auch schonmal alleine gemacht, also ohne Überwachung durch einen Arzt (Sterben kann ich ja dank des Defis nicht)? Wie gesagt, mir wäre deutlich wohler bei der ganzen Sache, ich bekäme jetzt einfach irgendeinen Betablocker und würde dann halt damit leben, dass ich ggf. nochmal Kammerflimmern bekomme. Das war deutlich weniger anstrengend, als diese nicht-zugelassenes-Medikament- Sache. Ich würde mich einfach nur gerne zurückziehen und meine Ruhe haben, damit ich normal weiterleben kann, ohne diese ganze Aufregung. Und vor allem ohne Ärzte. Mir wird schon flau im Magen, wenn ich nur daran denke, wieder zu einem zu müssen.

Re: Eine etwas umfangreichere Vorstellung

#2
    Zitat: souris
    .... Bis jetzt war das nicht nötig, aber je länger ich mit Ärzten zu tun habe, desto mehr Vertrauen verliere ich in genau diese und desto hilfloser komme ich mir vor. Deswegen auch der ausführliche Bericht, für den vielen Lesestoff bitte ich schonmal vorab um Verzeihung.
Hallo Souris,
vielen Dank für Deinen ausführlichen Bericht, ein "um Verzeihung bitten" ist absolut unnötig - dafür ist das Forum da.

Leider haben viele von uns, ich eingeschlossen, ähnliche Erfahrungen gemacht und wissen heute noch nicht, ob sie darüber lachen oder weinen sollen. Auf jeden Fall sollte man Berichte wie Deinen ungekürzt an die Gesundheitsministerien, Krankenkassen, Ärztlichen Vereinigungen und Medien schicken - vielleicht wacht dann mal einer auf. Leider hab ich aber da wenig Hoffnung ...

    Zitat: souris
    ...
    Ich fühlte mich hilflos. Wussten die das denn alles im Krankenhaus nicht? Haben sie es mir nur nicht gesagt? Wenn ja, warum nicht? Warum hat mich darüber keiner informiert? (Im Krankenhaus erhielt ich praktisch immer die Info, dass die Ärzte keine Zeit hätte. Ich sah sie etwas 5 Minuten am Tag, da fühlt man sich eh schon als Ballast und als Jemand, der den Patienten, denen es wirklich schlecht geht, die Zeit stiehlt und nur aufhält.) Aber ich musste ja wenigstens fragen und habe also schweren Herzens meinen Kardiologen und den leitenden Oberarzt angeschrieben. Ich habe mich bemüht so höflich wie möglich zu sein und das Problem sachlich darzustellen. Trotzdem fühlte ich mich dumm.
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    Ich fühle mich nur komplett auf den Arm genommen, dumm, naiv, nervig, überflüssig. Ich habe mir das alles nicht ausgesucht und komme mir vor wie Jemand, der einfach nur eine Belastung für alle Ärzte darstellt, die ja eigentlich Wichtigeres zu tun haben. Haben sie ja auch. Aber mich hat auch vorher Niemand gefragt, ob ich dieses Medikament überhaupt haben will. Und jetzt schon wieder umstellen? Der vierte Betablocker innerhalb eines Jahres? Ich bin kein Arzt oder Pharmakologe, aber toll ist das bestimmt nicht für den Körper, alleine schon weil man jedesmal andere Nebenwirkungen hat. Warum sind Ärzte immer so seltsam?

    Am Liebsten würde ich einfach zu gar keinem Arzt mehr gehen, weder im Krankenhaus, noch ambulant. Ich weiß gar nicht mehr, wie ich mich verhalten soll. Irgendwie schämt man sich total, dass man so ein "Problemfall" ist.
    ...

    ...
    Deshalb würde mich wirklich interessieren, wie Eure Erfahrungen mit Ärzten, Krankenhäusern und Medikamenten sind. Ist das normal? War ich einfach zu naiv und hätte genauer nachfragen müssen? Sollte ich mich lieber generell nicht darauf verlassen, dass sich wirklich Jemand für solche Krankheiten interessiert und eher versuchen, meine Probleme alleine zu lösen, sprich, mich besser informieren?
Ich fühlte mich in meiner schlimmsten Zeit ebenso "verraten und verkauft". Meine, selbst erstellte (und, wie sich später herausstellte, richtige), Diagnose als ursprüngliche Problematik meine damaligen Angstzustände, und damit verbundene innere Verkrampfung als Auslöser für das viele Kammerflimmern und die damit erfolgten Schocks zu sehen, wurde einfach als Blödsinn hinweggewischt - man bereitete mich statt dessen schon mal seelisch auf eine Transplantation vor. Wie das aussah könnt ihr euch vorstellen. Man kriegt es vor den Kopf geknallt und war durch mit dem Thema.

Ich hab die Erfahrung gemacht, dass die Ärzte bei der Nachsorge sehr schnell mit vollen Rohren auf Spatzen schießen um den Patienten loszuwerden. Aber um dazu Abstand zu bekommen, die Krankheit selbst einschätzen zu lernen, nicht alles zu glauben was die Ärzte einem erzählen und sich eine Meinung zu bilden braucht es viel Zeit und erfordert eine eigene Abgeklärtheit, die man sich erst erarbeiten muss.

Beste Grüße



Re: Eine etwas umfangreichere Vorstellung

#3
Hallo Souris!
Besser als Thorsten kann ich es auch nicht darstellen.
Mir ist es ähnlich gegangen. Ohne vorherige Rücksprache nach einem Aufenthalt wegen einer Lungenentzündung bekam ich am Entlasstag so kurz mal mitgeteilt, dass ich mich auf eine Transplantation vorbereiten solle.
Den Schock kannst du dir vorstellen.
Um es kurz zu machen.
Zwei weitere ärztliche Meinungen eingeholt, jahrelang den Defi-Einbau herausgezögert, dann 2010 einbauen lassen, seitdem geht es mir viel viel besser. Aber ich bezeichne mich schon als den aufgeklärten Patienten, der sich vieles angelesen hat und sich nicht mehr alles sagen lässt.
Es ist schwierig den r i c h t i g e n Arzt zu finden, aber es gibt sie.
Und hier im Forum hast du Chancen auf das bestmögliche Feedback.
Liebe Grüße aus dem Ruhrgebiet
Dirk



Dirk