Re: Verpasstes Leben

#11
Hallo Stern,

ich glaube, wir haben Deine Sicht der Dinge schon verstanden.
Es ist durchaus legitim, mit seinem Schicksal zu hadern. Aber wenn dieser Hader dann auf Kosten der Lebensqualität geht, ist er doch kontraproduktiv, oder?
Nur so können sich doch viele kranke Menschen aus dem Loch ziehen, in welchem sie sich befinden: sich daran zu freuen, überhaupt noch zu leben und sich mit den Einschränkungen zu arrangieren. Sonst kommt nämlich zur Krankheit auch noch eine Depression, die man wirklich nicht brauchen kann.
Sinn der Schreiberei ist doch, Maria dabei zu helfen, das beste aus dem, was noch möglich ist, herauszuholen. Wenn eine abenteuerliche Rucksacktour nicht mehr möglich ist, ist aber mit Sicherheit eine vielleicht weniger abenteuerliche Rundreise möglich. Was bleibt denn anderes übrig, als dankbar zu sein? Welche Alternative habe ich, wenn ich nicht geduldig bin? Ich komm' doch - ebensowenig wie die anderen - aus der Chose nicht mehr raus! Deshalb ist es doch hilfreich, seine Ansprüche vielleicht etwas 'runterzuschrauben, weil man sie sich eh nicht mehr so erfüllen kann.
Ich hatte mit 38 Jahren meinen Herzinfarkt und stand voll im Leben. Danach lebte ich auch gut, nur halt langsamer. Und ich lebe jetzt mit 52 Jahren immer noch gut. Das hätte ich aber mit negativer Lebenseinstellung nicht hingekriegt und ich mußte und muß mich immer noch oft in den Hintern treten, das kannst Du mir glauben!

Das ist jetzt meine Sicht der Dinge. Ich darf nicht mehr fliegen, weil mein Herz "entsorgungsreif" ist, fahre ich halt nach Italien, ist auch schön.

Gruß Carmen

Re: Verpasstes Leben

#12
Das mit dem Sich-selbst-in-den-Hintern-treten-müssen kennen sicher alle hier, ich kann auch einen ganzen Liederzyklus davon singen. Nicht erst, seitdem ich Defilaner bin, auch schon vorher. Die Situation seit der Implantation tut das Ihre natürlich noch dazu. Ehrlich gesagt, finde ich diese Abenteuerreisen und den sportlichen Ehrgeiz zwar Klasse, aber es ist nicht DAS Leben, sondern nur ein Aspekt -der ja in der Vergangenheit auch schon ganz gut ausgelebt wurde. Also kann man doch froh sein, dass man das alles erleben durfte und muss nun halt ein wenig umdenken. Ich wäre auch froh über einen netten kleinen Urlaub, doch durch die letzten zwei Jahre mit viel Verdienstausfall schüttelt mein Konto da nur bedauerlich den Kopf. Vielleicht schaffe ich es dieses Jahr wenigstens mal nach München zu meiner Tochter,schaun wir mal. Aber was mir am wichtigsten ist, ist die Tatsache, dass ich mich hier in meiner Umgebung wieder einigermaßen bewegen kann, dass ich laufen kann, dass ich auf den Frühling warte mit all seinen Farben und Blüten. Noch vor einem halben Jahr konnte ich nur auf einen Rollator gestützt kleinste Wege zurücklegen (gelähmte Beine nach 5maliger Reanimation) -man wird demütig und dankbar.



Die Kunst ist, einmal mehr aufzustehen als man umgeworfen wird. (Winston Churchill)

Re: Verpasstes Leben

#13
Nochmal zum Thema verpasstes Leben , ich bin 41 Jahre und habe 3 Jungs groß gezogen , der kleinste ist 9 , der braucht noch ne Weile. Aber dann beginnt für mich ein anderes Leben. Verpflichtungen werden weniger, Geld wird übrig sein ( Ooooooooooh hoffentlich)und dann kann ich sagen , jetzt flieg ich last minit auf die Kanaren oder fahre 3 Tage nonstop mit dem Motorrad irgenwo hin und schlaf auf der Wiese mit nem Döner zum Abendessen. Kleine und große Event`s berreichern den Alltag und helfen das Gemüt aufzubauen. Und ich bin ja einer der die ersten 20 Jahre den Sozialismus begleiten mußte , da freut man sich endlich mal auf dem Oktoberfest sein zu können oder unterm Eifelturm zu stehen.
Der Defi und mein Lebenswille macht noch gar vieles möglich, und ich danke meiner Frau , die mich vor 2 Jahren in die Notaufnahme gefahren hat , sonst bräuchte ich mir über entgangene Sachen keine Gedanken mehr zu machen.
So , das war kein schütteln oder so ähnlich , wir sind hier doch eine starke Gemeinschaft und das ist das was zählt, an uns werden die Psychater nicht reich ( grins)Grüße an alle Verreisten und Daheimgebliebenen , Jörg



Re: Verpasstes Leben

#15
Moin,
etwas philosophisch:
Träume zu haben spornt uns an, lässt uns im Leben weiterkommen. Träume zu verwirklichen und zu leben ist eine Erfüllung. Träume verändern sich, Träume erneuern sich im Laufe der Zeit. In einer Liedzeile heisst es sinngemäß "Erfülle Dir Deine Träume jetzt, denn irgendwann ist auch ein Traum zu lange her"

Wir haben wohl alle, nicht nur durch die Krankheit (aber insbesondere duch sie) lernen müssen, wie schnell sich das Leben verändert und damit auch die Ansichten und unsere Träume. Man muss nicht alle erfüllen, manchmal ist die Phantasie schöner als die Realität. Und wenn man seinen Träumen hinterherjagt, fliegt die Schönheit des Lebens an einem vorbei (sehr gutes John Lennon-Zitat). Ich habe mir vorgenommen, mehr die Augenblicke zu genießen. Auch und besonders die des Alltags.

Gruß
Thorsten



Re: Verpasstes Leben

#16
Das Gefühl von Maria, etwas zu verpassen, das kenne ich natürlich auch, aber das ist bei mir 30 Jahre her. Inzwischen habe ich mir allerdings schon sehr viele Träume erfüllt. Ich habe eine eigene große Familie, habe Hunde und Katzen, einen Beruf der mich ausfüllt und vor allem viele Freunde, mit denen ich mein Glück teilen und geniessen kann. Mir persönlich würde es nichts bringen alleine durch die Welt zu rennen und mit dem Fahrrad durch die Gegend zu saussen. Ich fahr lieber etwas langsamer und geniesse die Gegend. Ist mir auch egal, ob ich im Fitness-Studio 2 oder 50 Kilo drücken kann, Hauptsache ich habe noch die Kraft, mit meinem Glas meinen Lieben zu zu prosten. Wenn ich im Urlaub am Strand sitze und auf´s Wasser schaue, sieht es immer gleich aus, egal, ob es die Ostsee, der Golf von Mexico, der indischen Ozean oder sogar der Bodensee ist. Wichtig ist für mich, dass ich überhaupt noch darumsitze und gucken kann und vor allem, dass ich diese herrlichen Eindrück, wo auch immer mit jemanden geniessen kann.
Alles was ich in diesen 52 Jahren erlebt habe, nimmt mir keiner mehr und darüber freue ich mich und bin dankbar und ganz gespannt, was die Zukunft mir weiterhin noch an Überraschungen bringt.

Ich wünsche allen Gesundheit und auch innere Ruhe und Zufriedenheit.

Re: Verpasstes Leben

#17
Ich kann Gaby nur zustimmen, habe mir selber schon viele Träume erfüllt, die ich früher vielleicht noch nicht mal als Traum gesehen habe, heute einfach eine andere Denkweise darüber habe.

Heute erfreue ich mich an kleinen Dingen, nehme Sachen wahr, wo ich früher vielleicht nie drauf geachtet hätte, und kann mich an Kleinigkeiten erfreuen !

Früher habe ich mir nie darüber Gedanken gemacht, morgens wieder aufzuwachen, sich an der Sonne, am Himmel und an so vielen Kleinigkeiten zu erfreuen, es war damals selbstverständlich. Heute sind es genau diese Kleinigkeiten, die mich glücklich machen, sie sind mir einfach bewußt !

Was das Leben noch für mich bereit hält, ich lasse mich überraschen, wenn ich dafür länger brauche, egal, die Hauptsache ist, überhaupt ans Ziel zu kommen !

LG
Biggi



Re: Verpasstes Leben

#18
Erstmal ein Hallo aus dem schönen Rheinland, ich möchte mich bei Allen bedanken, die Ihre Meinung zu meinem Thema geschrieben haben.bei Jörg und Hüseyin Yildiz, bei denen ich mich am meistem vestanden fühle, aber auch bei allen anderen.

JÖRG : Danke für Deine Unterstützung

HÜSEYIN YILDIZ : Afrika und Indien rennen nicht weg,das stimmt. Die Ärzte haben mir aber eine so anstrengende Reise verboten. wenn ich doch fahre, zahlt keine Versicherung, falls etwas passiert. Mir persönlich wäre es ja egal, aber ich kann nicht meine Familie dafür einstehen lassen.

CHRISTINE : An einer Midlifecrisis leide ich bestimmt nicht.

CARMEM : Freue dich, was du noch kannst, hast Du geschrieben. Nach einer mißglückten Bandscheibenop und einer Zweiten in Folge saß ich 4 Monate im Rollstuhl und die Ärzte sagten mir, daß ich wahrscheinlich nicht mehr gehen konnte. Das war 1998, überall habe ich mich hochgezogen, bin gefallen und wieder hochgezogen, bis ich nach 1/2 Jahr die ersten Schritte gemacht habe. 32x wurde ich operiert, 9x an Tumoren (1x nur bösartig). Ich habe außerdem ein angeborenes Lymph u. - Lipödem. Sich an dem zu erfreuen, was ich noch kann, halte ich in meinem Fall für einen faulen Kompromis.

BIBI :Welcher Trost soll das sein, daß ich mehr erlebt habe als Gesunde? Du hast eine nicht kerngesunde Tochter schreibst Du. ich habe einen Sohn der Asthma hat, der Andere MS und eine 88 jährige Mutter, die zur Zeit im Krankenhaus ist. Bitte entschuldige, daß ich das schreibe. Ich will Dir nicht zu nahe treten.

Re: Verpasstes Leben

#19
HÜSEYIN YILDIZ: Es ist wirklich das grundsätzliche Gefühl, sein Leben nicht so leben zu können, wie ich es möchte. Vor 2 1/2 Jahren habe ich angefangen Spanisch zu lernen, vor etwas 10 Jahren erst Englisch. Nach Peru habe ich aufgehört spanisch zu lernen, weil ich abends immer so kaputt war. Das gehört für mich auch zu einem Handicap.

CARMEN, HEIDI und THORSTEN : keine negative Einstellung, die Blickrichtung ändern, den Augenblick genießen, das fällt mir sehr schwer. Ich habe vor 5 Jahren meinen Bruder 1 1/2 Jahre beim Sterben begleitet. An seinem Sterbetag, er hatte Krebe, sagte er noch zu mir :" Ich bin froh um jeden Tag, den ich gelebt habe," und ich dachte, was hat er schon vomm Leben gehabt. Bevor mir das passiert, will ich lieber alles erleben, egal wie oder soviel lernen, wie ich es schaffe und es deprimiert mich, was ich trotz stärkstem Willen körperlich nicht schaffe.

KIRSTEN: Ich freue mich, daß Du wieder gehen kannst, und kann verstehen, daß Du darüber glücklich bist.


Danke noch mal an Alle, ich hoffe, daß ich niemanden zu nahe getreten bin und wünsche Euch ein schönes Wochenende,
Maria

Re: Verpasstes Leben

#20
Hallo Maria

nachdem Du uns Deine Lebensgeschichte geschildert hast, verstehe ich jetzt auch, dass Du flüchten und davon rennen willst und Dich wie angebunden fühlst. Das tut mir sehr leid und mir bleibt nichts mehr anderes übrig, als Dich zu bedauern.

Gruß
Gaby